ZDF-Doku zieht bitteres Bürgergeld-Fazit: "Wer nicht arbeiten will, der muss auch nicht"

Die Moderatorin Sarah Tacke wartet vor dem Jobcenter auf aufgeschlossene Gesprächspartner - und wird nicht wirklich fündig. (Bild: ZDF/Phil Porter)
Die Moderatorin Sarah Tacke wartet vor dem Jobcenter auf aufgeschlossene Gesprächspartner - und wird nicht wirklich fündig. (Bild: ZDF/Phil Porter)

 

In vielen Bereichen werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Trotzdem gelten in Deutschland 2,6 Millionen Menschen als arbeitslos. In einer neuen ZDF-Dokumentation sagt einer ungeniert: Fürs Arbeiten sei er sich "zu schade".

In Deutschland fehlen in unzähligen Branchen die Arbeitskräfte. Andererseits gibt es trotz der vielen offenen Stellen hierzulande laut amtlicher Statistik die dann doch überraschend hohe Zahl von immerhin 2,6 Millionen Arbeitslosen. Die Dokumentation "Am Puls mit Sarah Tacke: Arbeitslos - Kein Bock oder keine Chance?" (zu sehen am Mittwoch, 1. Mai, 19.20 Uhr, im ZDF und bereits vorab in der ZDF-Mediathek) geht der Frage nach, ob diese Menschen - zugespitzt gesprochen - nicht arbeiten wollen oder es schlicht nicht können. Der Film zeigt vor allem eines: Die Lage ist komplex.

"Es ist wirklich schwierig, Menschen zu finden, die mit uns vor der Kamera sprechen", muss Sarah Tacke zu Beginn ihrer Recherche feststellen. "Weil immer wieder die Scham da ist: Ne, nicht vor der Kamera - nicht, dass andere wissen, dass ich auf Bürgergeld angewiesen bin."

Im hessischen Offenbach wird die Reporterin dann doch noch fündig. Dort trifft sie den jungen Bürgergeld-Empfänger Hajrizi. Nach seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann wurde er nicht übernommen; seither lebt er von 563 Euro Bürgergeld im Monat. Viele Angebote des Jobcenters lehnt Hajrizi ab.

"Mir fehlt erst ein Job, wenn überall 18 Euro in der Stunde bezahlt werden", stellt er klar. Bürgergeld sei "nicht das Problem", ergänzt er: "Bürgergeld ist eine gute Unterstützung. Das Problem ist eher der Mindestlohn. Mit elf Euro muss man eine Stunde für einen Döner arbeiten, eine Stunde für Zigaretten." Als Sarah Tacke nachhakt, ob es sich falsch anfühle, nicht zu arbeiten, antwortet Hajrizi: "Nein. Falsch ist, was die Politik macht."

Bei ihrer Recherche muss Sarah Tacke feststellen:
Bei ihrer Recherche muss Sarah Tacke feststellen:

 

Auch Christoph Schälike sieht kaum Sinn darin, für den gesetzlichen Mindestlohn - in Deutschland aktuell 12,41 Euro pro Stunde - zu arbeiten. Der gelernte Informationselektroniker hat erst kürzlich ein Jobangebot abgelehnt. "Der Stundenlohn war einfach zu niedrig", erklärt er im Film. "Das waren 12,50 Euro pro Stunde. Da habe ich nein gesagt, da bin ich mir zu schade. Ich suche lieber etwas Besseres." Es gebe "genug Arbeit", glaubt Christoph. Das Problem sei, dass viele Stellen so schlecht bezahlt seien.

1.822 Euro stehen Christoph und seiner Frau Sarah durch Bürgergeld, Minijobs und die vom Bürgergeld gedeckten Mietkosten monatlich zur Verfügung. Hätte Christoph die Mindestlohn-Stelle angetreten, wäre dem Paar weniger geblieben - 1.580 Euro pro Monat. Gelohnt hätte sich der Job nur mit zusätzlichen Aufstockungen durch das Arbeitsamt.

Für derartiges Anspruchsdenken hat Lucia Schrof kein Verständnis. Die Reinigungskraft aus Singen verdient 15,16 Euro pro Stunde. Sie findet, Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld "kriegen viel zu viel". Die 61-Jährige arbeite hart für ihr Geld. Sie hält vor allem die Höhe der Sozialleistungen für ungerecht: "Wenn man sich überlegt, was die haben, und was wir haben. Die haben die Miete, die haben alles. Wir stehen morgens auf, uns tut alles weh, und die sitzen nur auf der Couch."

Arbeitsvermittlerin Maren Tesche (rechts) vermittelt der Moderatorin Sarah Tacke ein Bild vom Alltag mit nicht ganz unproblematischen Fällen. (Bild: ZDF/Phil Porter)
Arbeitsvermittlerin Maren Tesche (rechts) vermittelt der Moderatorin Sarah Tacke ein Bild vom Alltag mit nicht ganz unproblematischen Fällen. (Bild: ZDF/Phil Porter)

 

Auch Lucias Vorgesetzter Thomas Conrady steht den sogenannten "Totalverweigerern" kritisch gegenüber: "Es macht mir schon Sorgen, dass die Menschen nicht von sich aus so motiviert sind zu arbeiten. Weil sie sagen: 'Na ja, die Allgemeinheit unterstützt mich so stark.'" Der Geschäftsführer eines Gebäudedienstleisters fürchtet: "Das macht ja auch was mit einer Gesellschaft. Das ist wie ein fauler Apfel, der in der Kiste ist, der dann die anderen ansteckt."

Immer wieder stellte Arbeitsminister Hubertus Heil in der Vergangenheit klar: Der Anteil der Totalverweigerer unter den Arbeitslosen ist äußerst niedrig. "Das ist eine verschwindend geringe Zahl, lassen Sie es einige Zehntausend sein", erklärt der SPD-Politiker nun auch im Gespräch mit Sarah Tacke und weist zudem auf die Sanktionen hin, die Jobverweigerern drohen. Auch, dass sich Arbeit für den Mindestlohn nicht bezahlt mache, hält Heil für einen Irrtum: "Arbeit macht immer einen Unterschied."

Sarah Tacke fasst das Gespräch mit dem Bundesminister zusammen: Hubertus Heil fordere "Verständnis für die vielen, die nicht können, und Sanktionen für die wenigen, die nicht wollen". Die ZDF-Reporterin selbst stellt am Ende ihrer Recherchen fest: "Wer nicht arbeiten will, der muss auch nicht." Eine große Rolle spiele die Höhe des Gehalts: Arbeit müsse so bezahlt werden, dass sie sich auch lohnt. "Jobs gibt es genug. Und Menschen, die arbeiten könnten, auch. Das beides besser zusammenpasst - daran müssen wir arbeiten."

"Am Puls mit Sarah Tacke: Arbeitslos - Kein Bock oder keine Chance?" ist am Mittwoch, 1. Mai, 19.20 Uhr, im ZDF zu sehen und vorab in der ZDF-Mediathek.